Beim Thema „Dehnen“ interessieren in erster Linie 2 Fragen:

  1. Welche Ergebnisse sind von verschiedenen Dehnmethoden zu erwarten; d.h. ist Dehnen überhaupt sinnvoll und wenn ja mit welcher Methode?
  2. Wann sollten welche Dehnmethoden zum Einsatz kommen?

Die meisten von euch absolvieren ein Dehnprogramm, um eine eingeschränkte Beweglichkeit zu verbessern. Weitere Zielsetzungen sind das Aufwärmen vor einer Belastung, das Verhindern von Verletzungen und Muskelverkürzungen (= Verspannungen), eine Beschleunigung der Regeneration nach dem Training bzw. das Verhindern eines Muskelkaters!

Für Eilige

  • Stretching führt durch ein reduziertes Schmerzempfinden (= Erhöhung der Dehntoleranz) zu einer Verbesserung der Beweglichkeit; zusätzlich trainiert man die Körperwahrnehmung; zudem kann ST entspannend wirken.
  • Dynamisches Dehnen ist rehabilitiert und findet seine Berechtigung vor allem im Aufwärmtraining aber auch im Cool Down.
  • Muskellängentraining (= Kraft in Dehnung) führt durch ein erreichtes Längenwachstum des Muskels zu einer größeren Bewegungsweite verbunden mit einer gleichzeitigen Kraftsteigerung.
  • Intensives Dehnen sollte in einer speziellen Trainingseinheit umgesetzt werden.

Definition Beweglichkeit:

Dehnen wird als übergreifende Bezeichnung für Methoden (u.a. Stretching) zur Erweiterung der Gelenksamplituden (Beweglichkeit; engl. Flexibility) verwendet.

(Quelle: Universität Wuppertal – Univ. Prof. Dr. Jürgen Freiwald).

Die bekanntesten Dehnungsmethoden kurz erläutert (auf die Aufzeigung der neuronalen Methoden habe ich an dieser Stelle aufgrund ihrer Komplexität verzichtet):

Stretching (ST)

Hierbei handelt es sich um eine Methode, bei der bestimmte Muskeln bzw. Muskelgruppen entweder aktiv durch Muskelkraft oder passiv z.B. gegen die Schwerkraft bis zu einem individuell tolerierbaren Schmerzempfinden gedehnt werden, um dann zw. 30 – 180 s gehalten zu werden; dabei sollte die gedehnte Muskulatur so entspannt wie möglich sein. Jede Übung kann man je nach Haltedauer 1-3 mal wiederholen.

Dynamisches Dehnen (DD)

wird auch als aktives Dehnen bezeichnet, bei dem die zu dehnende Muskulatur ca. 10 x sanft durch federnde o. wippende Bewegungen gedehnt wird; das Ganze wiederholt man 2 – 3 mal.

Muskellängentraining (MLT)

wird oft auch als Kraft in Dehnung (KiD) bezeichnet; die zu dehnende Muskulatur wir auf eine maximale Länge gebracht, um dann in dieser Position zwischen 30 u. 90 s zu verharren; der Unterschied zum ST ist jedoch, dass die Zielmuskulatur eine statische Haltearbeit gegen die Schwerkraft oder eine einwirkende Kraft verrichten muss; auch diese Übungen sind je nach Haltedauer 1 – 3 x durchzuführen.

Welche Ergebnisse sind nun von den verschiedenen Dehnmethoden zu erwarten:

ST:

Hier ist in erster Linie eine verbesserte Beweglichkeit oder auch Flexibilität zu erwarten; diese ist nach aktueller wissenschaftlicher Lage aller Voraussicht nach auf eine gesteigerte Dehntoleranz zurückzuführen; d.h. man erträgt den Dehnschmerz besser; wichtig ist dabei, dass der empfundene Schmerz auf einer Skala von 0 – 10 maximal als 8 eingestuft wird! Dieser Effekt führt langfristig nur zu einer verbesserten Beweglichkeit, wenn das Dehnprogramm mindestens 3 x wöchentlich durchgeführt wird, da die Wirkung nur kurzfristig anhält. Sie ist leicht zu lernen, führt bei regelmäßiger Anwendung zu einer Verbesserung des eigenen Körpergefühls und kann entspannend auf Körper und Geist wirken.

ST ist nicht geeignet als Aufwärmtraining, da es hierbei um Marker wie Pulserhöhung und Körpertemperaturanstieg geht, was durch diese Dehnungsmethode sogar ins Gegenteil umgekehrt wird! Weiterhin gilt Stretching auch nicht als Verletzungsprophylaxe, verhindert keinen Muskelkater, beschleunigt nicht die Regeneration und kann sich sogar in bestimmten Fällen leistungsmindernd auswirken (z.B. vor schnellkräftigen Belastungen).

Durch Stretching wird auch kein Muskellängenwachstum ausgelöst, da hierzu hohe einwirkende Kräfte notwendig wären.

DD:

Diese Dehnungsform ist hervorragend für ein Aufwärmprogramm geeignet und wirkt auch beschleunigend auf die Regeneration am Ende eines Trainings, da dadurch eine kreislaufanregende Wirkung erreicht wird; jedoch müssen hierbei die federnden Bewegungen sehr gefühlvoll durchgeführt werden, um Verletzungen zu vermeiden!

MLT:

Aktuell wohl die einzige Methode, bei der es wissenschaftlich belegt zu einer strukturellen Veränderung kommt, in dem der Muskel durch die hohen einwirkenden Kräfte zu einem Längenwachstum angeregt wird; die Folge ist neben einer verbesserten Beweglichkeit auch ein höheres Kraftniveau!

Mythen:

Krafttraining führt nicht zu einer Muskelverkürzung! Ganz im Gegenteil: Durch ein Training über die volle Bewegungsweite (= ROM) kommt es ohne zusätzliche Dehnübungen zu einer Verbesserung der Beweglichkeit!

Fazit:

Stretching hat nicht die Vorteile, die ihm immer wieder unterstellt werden! Das dynamische Dehnen gilt nach jahrzehntelanger Verbannung vor allem im Aufwärmtraining als rehabilitiert. Verfolgt man das Ziel einer langfristigen Beweglichkeitsverbesserung, sollte die Muskeldehnung der Hauptgegenstand einer speziellen Trainingseinheit sein. Als Methode ist das Muskellängentraining klar im Vorteil zu sehen, da es hierbei langfristig zu einer strukturellen Verlängerung des Muskels kommt; d.h. der Muskel wächst nicht nur in die Länge (= verbesserte Beweglichkeit!) sondern wird dadurch auch kräftiger! Der Vorteil des Stretchings liegt in erster Linie in der Einfachheit des Erlernens und einer allgemein entspannenden Wirkung. Wer also beweglicher werden möchte sollte seinen Focus auf ein Muskellängentraining als eigenständige Einheit legen, das 2–3 mal wöchentlich durchgeführt wird. Praktische Anleitungen findest du in unserem Kursarchiv bzw. in der Übungsbibliothek.

Wolfgang Dengler